In der 25-jährigen Ausstellungstätigkeit des „Benzeholz Raum für zeitgenössische Kunst Meggen“ hat die Luzerner Künstlerin Anna Margrit Annen (*1951 in Baar) bereits zweimal das Haus mit Werken bespielt und somit auch einen Teil dessen Geschichte geschrieben. Die Werke der aktuellen Ausstellung „si proche, si loin“ (dt.: „so nah und doch so fern“) sind alle bis auf eine Videoarbeit im letzten Jahr entstanden und teilweise erst Anfang 2014 beendet worden.
Die im Titel der Ausstellung aufgeführte Nähe und gleichzeitige Weite zeigen sich in der Arbeit von Anna Margrit Annen auf verschiedene Weisen.
Den Anfang der Ausstellung bilden zwei Videobilder: Das in sich bewegte und oszillierende Bild einer Dachlandschaft mit Kirchturm sowie die Aufnahme des Menschen- und Verkehrsgemenges an einer Kreuzung. Die Videos zeigen zwei einander entgegengesetzte Zustände einer Grossstadt. Ohne dass der genaue Ort bekannt wäre, scheinen die Szenen vertraut. Die dichte Hektik in den Strassen steht der ruhigen Erhabenheit ob den Dächern gegenüber. „Si proche, si loin“ kann sich aber auch direkt auf die Kreuzung bei Château-Rouge in Paris beziehen, deren Anblick geradezu an Afrika erinnert.
In den Videos von Anna Margrit Annen findet sich etwas grundlegend Menschliches, etwas aus unserer Umgebung, etwas von Welt. Obwohl Zeit und Bewegung elementar für das Medium Video sind – und übrigens bei der Künstlerin in Realzeit, also ungeschnitten und unbearbeitet abgespielt werden –, beschreiben die hier ausgestellten Videos eher Zustände als lineare Abläufe. Dies wird bei der Videoarbeit „Spiel“ von 2010 da deutlich, wo mit dem Würfeln zwar eine simple Tätigkeit gezeigt, gleichzeitig aber zu einem sinnhaften Bild der verstreichenden Zeit und des Zufalls verdichtet wird.
Die Gemälde von Anna Margrit Annen treten dem Betrachter auf den ersten Blick als Zeichnungen entgegen. Linien, Knotenpunkte, Umrisse, Notationen, Kreise oder auch Zahlen zeichnen sich in Schwarz vor einem hellen, beinahe weissen Grund ab. Bei einem zweiten Blick öffnen sich aber die Zeichnungen in die Tiefe: Raum, Farbe und andere Strukturen treten hervor. Die Bilder vermitteln sich nicht über einfache Figuren oder Bedeutungen, vielmehr kommen verschiedene Ebenen gleichzeitig zum Sprechen. Sie wirken über ihre Intensität, von Innen heraus. Während die Videoarbeiten in der Wiederholung die Zeit zum Stehen bringen, überlagern sich in den Bildern mehrere Schichten und schreiben Geschichte, die jeder für sich neu entdecken muss.
Die Erfahrung von „si proche, si loin“ begegnet uns also auch im Gegenüber der Werke von Anna Margrit Annen: Im Moment des Betrachtens scheinen wir etwas ganz intuitiv zu begreifen, das, wollen wir es in Worte fassen, uns schon wieder entgleitet.
Text: Annamira Jochim
Bilder: Anderhub