Landschaft im Blick

02.-30.09.2012
Aurelio Kopainig, Giorgi Kvinikadze & Mariann Oppliger, Timo Müller, Bettina Mürner

Mit „Landschaft im Blick“ greift das Benzeholz Raum für zeitgenössische Kunst Meggen ein Thema auf, das durch den Standort am See und am Stadtrand von Luzern auf der Hand liegt. Die schöne Südhanglage und der flache Hügelzug am Vierwaldstättersee sind ideal für die landwirtschaftliche Nutzung, zogen aber schon seit dem 19. Jahrhundert viele Wohlhabende an, hier ihre Villen mit Aussicht in die Berge und auf den See zu bauen. Seit den 1960er Jahren ist die Gemeinde sehr stark gewachsen, Bauernhöfe und Trotten werden umgenutzt, Landgebiete eingezont.

„Die Landschaft scheint ein alltägliches Ding, das uns entgegentritt, sowie wir aus dem Eisenbahnfenster schauen, und dessen Abbild in großen Auflagen die Prospekte unserer Fremdenverkehrsorte schmückt. ... Nicht in der Natur der Dinge, sondern in unserem Kopf ist die Landschaft zu suchen; sie ist ein Konstrukt, das einer Gesellschaft zur Wahrnehmung dient, die nicht mehr direkt vom Boden lebt.“ (1977, in: Warum ist Landschaft schön? Die Spaziergangs-wissenschaft, Berlin 2008) Der Soziologe Lucius Burckhardt hat die Entwicklung der Landschaft eng mit der Wandlung der Gesellschaftsstrukturen verbunden, wie sie sich auch an der Gemeinde Meggen ablesen liesse. Landschaft ist nicht die wilde Natur, sie entsteht durch die Gestaltung des Menschen, steht also in gewisser Weise auch in Bezug zur Kunst. Die Perspektive und Interpretation von Landschaft ändert sich durch kulturelle undhistorische Begebenheiten. Die Ausstellung bezieht darum explizit im Titel unseren Blick ein und zeigt anhand von Bildern, Installationen und Videoperformances Tendenzen heutiger Landschaftsvorstellungen. Wie verstehen wir Landschaft? Wie wird diese genutzt, vermittelt oder vermarktet?

Die im Eingangsbereich des Benzeholzes aufgestellte Holzskulptur „Entwurf 1“ von Timo Müller (*1980 in St. Gallen, lebt in Luzern) provoziert die Frage nach dem Standort und der Art und Weise der Überbauung von Landschaft. Könnte das Hochhaus eine Alternative zur flächendeckenden, sich über breite Landstriche ausdehnenden Einfamilienhäuschen- und Villenkultur sein oder handelt es sich da eher um eine pragmatische oder gar immobilienwirtschaftliche Lösung? Gewährt es den Blick vieler Bewohner auf den See oder ist es Schandfleck?

Der Übergang von Stadt und Land, von Bebautem und Unbebautem wird auch in der Diaprojektion „Häuser und Bäume“ von Aurelio Kopainig (*1979 in Gais, lebt in Berlin) in den Blick genommen. In der systematisch seit 2001 an verschiedenen Orten der Welt aufgenommenen Bildersammlung existieren zwei Hauptthemen: einerseits die kultivierte Natur in Verbindung mit der Umgebung eines Hauses oder im städtischen Raum wie etwa Vorgärten oder bepflanzte Zwischenzonen und andererseits architektonische Konstruktionen von Häusern und städtebaulichen Anlagen. Die Diaprojektionen bringen in der Aufeinanderfolge und im Nebeneinander von Bildern Ähnlichkeiten und Differenzen zum Vorschein. In den in der Installation im Benzeholz einbezogenen Aufnahmen von Meggen entstehen absurde Situationen zwischen der natürlichen Umgebung und der kontrollierten Natur, die als Sichtschutz und als Abschirmung des Privaten dient. Die Betonung des Privateigentums wird zusätzlich durch Beschilderungen sichtbar.

Ähnliche Aspekte werden von Bettina Mürner (*1983 in Frauenfeld, lebt in Zürich) auf malerische Weise umgesetzt. Sie setzt das Medium Malerei, insbesondere den Duktus und die Farbigkeit, gezielt dafür ein, um eine Stimmung hervorzurufen oder eine Geschichte zu erzählen. Obwohl sie nahe mit fotografischen Vorlagen arbeitet, bilden ihre Gemälde die Wirklichkeit nicht einfach ab, sondern erzeugen durch die Wahl des Sujets und der Lichtsituation ein Moment der Irritation, das Fragen aufwirft. Im Benzeholz zeigt sie verschiedene Blickwinkel auf Landzonen, eine nahezu klassische Landschaftsdarstellung mit Feld, angrenzendem Schilfgebiet und wolkigem Himmel, eine von einem Busch überwucherte Hütte, eine 7-teilige Serie von herausgeputzten Haus- und Gartensituationen in Irland. Mit diesen drei Positionen nimmt die Künstlerin verschiedene Perspektiven von Landschaft auf und zugleich gibt sie einen Einblick in ihr malerisches Werk.

Mariann Oppliger (*1982 in Bern, lebt in Bern und Georgien) und Giorgi Kvinikadze (*1987 in Zestaphoni, lebt in Tbilisi) befragen auf zwei Monitoren die Identität von Landschaft und suchen den fremden Blick im eigenen. Auf dem einen Monitor zieht eine Seen-, Wald- und Berglandschaft wie beiläufig an uns vorbei, wir folgen einer Rückenfigur auf seinen Erkundungen: er fährt mit dem Fahrrad über eine Autobahnbrücke und durch eine Unterführung von der Stadt aufs Land, rennt über eine Wiese, klettert auf einen Baum, springt ins Wasser oder fährt mit dem Zug an einem Gebirgszug entlang. Das Ziel des Protagonisten und die Verortung der Landschaft bleiben offen. Es sind weniger die Top-Shots der Schweizer Bergwelt als vielmehr ein Durchschnitt durch das Mittelland, das vielleicht auch anderswo sein könnte. Demgegenüber steht die Videoperformance von Giorgi Kvinikadze als Statement. Hier zeigt sich die Person, die wir vorher immer vom Rücken oder von der Seite verfolgt haben, nackt und frontal, die Klinge eines Säbels schärfend. Er kleidet sich in Anlehnung an den David von Michelangelo in Posen der klassischen Kunstgeschichte oder auch des Barocks mit dem Dekor der roten Schleife. Er singt ein georgisches Lied, das archaische Qualitäten und das Heldentum beweint. Die Zerbrechlichkeit der Stimme und der Gestik steht im Widerspruch zum Inhalt des Liedes, der sich nicht auflöst, sondern zusammen mit dem anderen Video Fragen stellt: Hat das Heroische und Archaische mit der Schweizer Bergwelt zu tun? Was hat die Schweiz mit Georgien gemeinsam? Was macht Identität aus?

Text: Annamira Jochim
Fotos: Ralph Kühne