02.11.-22.12.2024

Noha Mokhtar (*1987 in Genf, lebt und arbeitet in Zürich) präsentiert im Benzeholz ihre erste institutionelle Einzelausstellung. Mit dem Einbezug von ethnologischen Methoden pendelt ihr Werk stets zwischen Fiktion und Dokumentation hin und her und macht kulturelle, soziale, diasporische wie persönliche biografische Bezüge sichtbar. In der Ausstellung „Memory Sandwich“ thematisiert Mokhtar unsere Beziehung zu Wohnräumen und deren Materialität. Die gezeigten Arbeiten verbinden verschiedene Ebenen der Erinnerung, die an Erlebnisse der Künstlerin andocken und sich mit Erfahrungen der Betrachter:innen vermischen.

Erdgeschoss
Fragen nach Wohnformen und deren Ausstattungen beschäftigen die schweizerisch-ägyptische Künstlerin seit mehreren Jahren: Welche sozialen, politischen und emotionalen Dimensionen haben jene Räume, die uns so vertraut sind und denen wir im Alltag gleichwohl oft wenig Bedeutung beimessen? In «La Poétique de l’espace» (1957) untersuchte der französische Philosoph Gaston Bachelard (1884-1962) die «glücklichen Orte» unserer Existenz, die wir in unseren Häusern finden. Für Bachelard beher-bergt der Innenraum eine Poetik: Dachböden, Keller, Schubladen, Ecken und Winkel sind mit ihren Bewohnenden, mit deren Erinnerungen und Träumen verbunden.

Die Werke im Erdgeschoss knüpfen an diese Gedanken an. Mokhtar untersucht darin die Frage, wie sich ein vorgefundener, bereits ausgestatteter Innenraum - wie der eines Hotelzimmers - individuell aneignen lässt. Hierfür fotografierte sie eine für die Künstlerin selbst temporäre und auf den Nutzen ausgelegte, vormöblierte Unterkunft in einem ehemaligen Hotel. Während zwei Fotografien jeweils zusammen gelesen werden können, wird alsbald ersichtlich, dass sich diese zwar ähneln, sie jedoch nicht dieselben sind. Durch die kleinen Verschiebungen im Bild muten die festgehaltenen Szenen geradezu surreal an. Modulare Elemente – wie die klappbare Doppelkochplatte oder die Ansammlung von Hocker und Stühlen - wecken wiederum Assoziationen zu Fehlersuchbilder aus der Kindheit.

Obergeschoss
Zusammen mit Gregor Huber machte sich die Künstlerin im Frühjahr 2023 auf die Suche nach einer Unterkunft in Kairo. Mit Hilfe eines Maklers gewannen sie Einblick in mehrere Mietwohnungen im Stadtzentrum. Fortan begann Mokhtar mit ihrer Kamera Details festzuhalten und nach Spuren von früheren Bewohner:innen zu suchen, welche die Orte mit ihrer Präsenz geprägt und verändert haben. Auch Noha und Gregor bewohnten mit jeder Besichtigung die Orte für wenige Minuten selbst. Bereits nach kurzer Zeit vermischten sich in ihrer Erinnerung die zahlreichen Besuche und verwandelten sich in einen einzigen, grossen Wohnraum - Wände verschoben sich, der Flur der einen Wohnung führte alsbald ins Wohnzimmer einer anderen. Die daraus entstandene Serie vereinten sie in der Publikation „No Nile View“ (2023).

Für die Ausstellung reisst Mokhtar das perforierte Papier aus dem Buch heraus und überführt die Fotografien als gerahmte Bilder erstmals in einen Raum. In ihrer Vielfalt zeugen diese von der Intimität von Innenräumen und pendeln gleichzeitig zwischen Nostalgie und möglichen Zukünften hin und her. Mit einer narrativen Legende bietet Mokhtar den Betrachtenden weiter Fährten für mögliche Kontextualisierungen der abgelichteten Szenen.

Dachstock
Der Dachboden ist der Ort im Haus, der die Vergangenheit und die imaginäre Zukunft vereint. So begegnen wir im Dachstock des Benzeholz zwei Abbildungen desselben Bettrahmens – einmal im Negativ und einmal im Positiv. Die Originalfotografie hat Mokhtar in einem Koffer auf der Strasse gefunden. Damit bleibt für die Künstlerin wie auch für uns Betrachter:innen unklar, was für eine Geschichte dem Rahmen innewohnt, woher er kommt und wo er womöglich hin transportiert werden könnte. Wird er überhaupt jeweils wieder als brauchbares Bett dienen? Mit der Wahl von Schaumstoffmatten als Druckfläche, ergänzt Noha den Rahmen sinnbildlich mit dem ihm fehlenden Utensil. Und so bleibt das Abbild von der menschlichen Präsenz entkoppelt und wird als skulpturale Arbeit erneut zur Projektionsfläche von Ahnungen und individuellen Vorstellungen - und damit zu einem Memory Sandwich.

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Besprechung Kunstbulletin

Text: Katrin Sperry
Bilder: Ralph Kühne