Sie schöpfen das Potential einer bestimmten Form aus: Die Zugerin Livia Gnos (*1977) und Maja Rieder (*1979) aus Basel. Im Benzeholz stellen die Künstlerinnen zum ersten Mal gemeinsam aus.
Erdgeschoss
Über den Winter und die Ausstellungsdauer hinweg prägt der rund 30 Meter hohe
Kranen das Bild des Benzeholzvorplatzes. Grund dafür ist die Sanierung eines
Bootshauses. Wind und Wetter ausgesetzt, hat sich die Patina des Holzes im
Verlauf der Zeit verfärbt, Feuchtigkeit und UV-Strahlen haben Spuren hinterlassen und die Maserung und Struktur des organischen Materials beeinflusst.
Als Baumaterial nicht mehr zu brauchen, erscheint eben jene Beschaffenheit
und Ästhetik des Holzes im Zusammenspiel der künstlerischen Arbeit von Livia
Gnos und Maja Rieder interessant. In Form einer Tischplatte und damit als
Display findet ein Ausschuss davon den Weg in die Ausstellung.
Livia Gnos und Maja Rieder bespielen die Fläche wie auch das ganze
Erdgeschoss gemeinsam mit kleineren Arbeiten, die sich zwischen Kunstwerk,
Skizze, Recherche und Modell bewegen. Im Zusammenkommen beider Positionen
wird die künstlerische Erkundungs- und Erforschungsreise von Formen,
Prinzipien sowie deren Unregelmässigkeiten und Zufall in der Wiederholung
erkennbar.
So präsentiert Maja Rieder beispielsweise Spuren ihres Malvorgangs, die als
Leerstellen oder Negativbilder zurückbleiben sowie Modelle, die erst
visualisieren, was kommen wird. Mit Abrieben, Holzstichen, Zyanotypien oder
dem Einsatz des Marmorierungsverfahrens wird die technische Experimentierfreude von Livia Gnos spürbar. Hierbei steht bei beiden Künstlerinnen die
Sichtbarmachung von Formgebung über die Auseinandersetzung mit Konturen im
Zentrum.
Obergeschoss
Mit Wasserfarbe oder Tusche trägt Livia Gnos geometrische Formen auf Papier
auf. Dabei arbeitet sie gleichzeitig an unterschiedlichen Werkgruppen, deren
Aufbau sie immer wieder aufs Neue auslotet. Dies zeigt sich unter anderem in
den «Concentrations» rechtsseitig des Raumes. Sie bestehen aus Spiralen, die
sich überschneiden und damit zu bestechenden Flimmer-Effekten führen. Das
Triptychon auf der Seeseite hin ruft mit dem Titel «Ondes» Assoziationen zum
Wellengang vor dem Benzeholz hervor. Zur Treppenseite hängen zwei Bilder aus
der Serie «Illumination», die mit ihren übereinandergelegten Lagen von Tusche
wie Blitze in der Nacht erscheinen. Auf der linken Seite des Raumes sind drei
Arbeiten aus der Serie «Apparition» erkennbar, welche - wie der Titel verrät
- von einer Erscheinung zeugen. Was aber taucht hier auf?
Die meist grossformatigen Bilder von Livia Gnos zeugen von geheimnisvollen
wie explosiven Stimmungen, von geisterhaften Vorstellungen sowie von fragil oder meditativ anmutenden Momenten. Die Arbeiten sind geprägt von
beeindruckender Geduld und Genauigkeit, wobei ein kontemplativer zeichnerischer Zustand der Künstlerin zu erahnen ist.
Dachstock
Die Auslotung der Diagonalen steht bei Maja Rieder im Zentrum. Die Künstlerin
erstellt für den Dachstock eine raumgreifende Installation. Als Ausgangspunkt
dienen Arbeiten aus der Werkgruppe mit «Trommelbildern», denen eine konzipierte Handlungsstruktur zugrunde liegt. Im Vorfeld verpackt Rieder unterschiedlich hölzerne Kuben und Quader mit Papier, um sie in einem zweiten
Schritt mit Tusche zu bemalen. Im 90° Winkel einmal um beide Seiten herum
gemalt, entstehen bei der Ablösung des Papiers markante diagonale
Farbflächen. Dabei lässt die Künstlerin Farbe verlaufen und Papier
durchtränken – stets im Bewusstsein, nie wirklich zu wissen, wie das
Endresultat ausfallen wird. Beim Auffalten der Papierstreifen kommt die
Vielschichtigkeit schliesslich zum Ausdruck: Komprimierte Farblachen stehen
transparenten Flächen gegenüber, unter denen die vorausgehende Farbigkeit
erkennbar wird. Musterungen und Strukturen verweisen unmittelbar auf die
Unberechenbarkeit des nassen Farbauftrags auf Papier. So spielt die
Prozesshaftigkeit in Rieders Schaffen eine zentrale Rolle, denn sowohl die
Spuren des Trägers wie auch der Akt der Befreiung sind als Überraschungselemente Teil des Endprodukts.
Im Dachstock treten die Bahnen miteinander in einen Dialog, mal scheinen sie
sich zu verschwestern, mal stehen sie sich gegenüber oder überlagern sich.
Auch ihre Strahlkraft und Farbigkeit scheinen sich je nach Blickwinkel zu
verändern. Die Besucher*innen sind dazu eingeladen, vorsichtig um die Bahnen
herum zu gehen.
Trotz unterschiedlichen künstlerischen Sprachen wird das Verbindende von
Livia Gnos und Maja Rieder im Benzeholz ersichtlich. Nicht nur malen beide
mit derselben Tusche, auch die Direktheit der gewählten Präsentationsform –
ohne Rahmen und schützendes Glas - ist ihnen gemeinsam. Lassen wir uns ins
genaue Betrachten der ausgestellten Werke ein, lässt sich erkennen, dass in
den Farbflächen Musterungen und Tiefenwirkung erzeugt werden, deren Verlauf
und Dichte die Künstlerinnen nur teilweise steuern können. So zeugen die
Werke von einer Offenheit gegenüber Material, Technik und Prozess sowie dem
bewussten Balanceakt zwischen Ordnungsstrukturen und Zufälligkeiten,
Strategie und Kontrollverlust. Gerade durch das Arbeiten in Serien kommt dies
deutlich zum Ausdruck.
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Text: Katrin Sperry
Bilder: Maja Rieder (1) Ralph Kühne (2-4)