25.8.-15.10.2023

Flurin Bisig (*1982) und Maurin Bisig (*1987) verbindet das offen gehaltene Erkunden einer Form oder eines Ausdrucks.

Ausgangspunkt ihres künstlerischen Schaffens ist ihre Haltung gegenüber der Welt - eine, die Reibung und Widerstand bietet und mit der sie zugleich im Austausch sind. So ist es die Auseinandersetzung mit der unmittelbaren Umgebung, das Gespür für das Gegenüber sowie der Wunsch mit sich und der Welt in Resonanz zu treten, das sie antreibt. Über diese Welterfahrung spricht beispielsweise der Soziologe Hartmut Rosa in seiner Resonanztheorie. Resonanz bedeutet für Rosa eine dynamische Beziehung zur Welt, in der sich die Subjekte wechselseitig berühren und transformieren, wobei dies auch die dingliche Umgebung miteinbezieht. In einer Zeit von Innovationsbeschleunigung sieht Rosa dabei ein Paradox: Denn mit jeder Reichweitenvergrösserung erweitert sich auch der Horizont des Nicht-Verfügbaren. Das Erfasste verweigert sich gleichsam und droht zu verstummen. Es ist demnach nicht verwunderlich, dass in der Zeit der Moderne auch das Bedürfnis vorherrscht, die Dinge wieder «singen zu hören». Und so referieren die Künstler mit dem Ausstellungstitel auf ein Gedicht von Rainer Maria Rilke von 1899, in dem dieser von den Momenten des Gesangs schwärmt, in denen Dinge wieder lebendig erscheinen und mit uns interagieren.

Erdgeschoss
Tagtäglich zeichnet Flurin Bisig auf Papier. Ohne ein klares System zu verfolgen, arbeitet er mit schnellen Gesten. Jede Zeichnung ist wichtig, aber nicht jede wird zum Ausstellungsobjekt - das präzise Aussortieren wird in der Menge zum zentralen Faktor. Die drei Zeichnungen im Erdgeschoss zeugen somit von einer Verdichtung von hunderten vorangegangenen Strichen. Es sind Blätter, mit denen Flurin Bisig resoniert, die «auf etwas treffen», was mitunter als Resonanz verstanden werden kann. Die Arbeit auf Papier und das bildhauerische Schaffen verlaufen bei Flurin Bisig parallel. Dennoch gehört das Zeichnen mitunter zur Vorbereitung von skulpturalen Arbeiten und ist stark damit verknüpft. Während Zeichnungen flüchtig erscheinen, bietet der Stein Widerstand und muss über längere Zeit bearbeitet werden.
Auf der grossformatigen Fotografie von Maurin Bisig ist eine steinige Felswand im Entlebuch zu erkennen. Der fotografische Prozess mag abenteuerlich anmuten: Allein unterwegs mit einer rund 30kg schweren Ausrüstung, verbringt Maurin Bisig viel Zeit vor seinem Sujet, eher er ein Bild schiesst. Insgesamt dreimal machte er sich auf, bis das Resultat stimmig erscheint. Die Felswand ist Teil der Karstlandschaft Schrattenfluh. Maurin Bisig findet Gefallen an deren Struktur, die ihn an Säulen aus der griechischen Antike erinnern. Immer wieder dokumentiert Maurin Bisig auch den Arbeitsprozess seines Bruders. Die kleinformatige Fotografie zeugt so von der zwischenmenschlichen Verbindung der beiden Künstler.

Obergeschoss
Auf der rechten Seite sind Arbeiten von Maurin Bisig zu erkennen, die während eines einmonatigen Aufenthalts in London entstanden sind. Im Fokus steht jedoch nicht das Grossstadtleben, sondern Bäume, die der Künstler auf seinen langen Spaziergängen entdeckt und festhält. Ihnen gegenüber stehen Fotografien aus den Jahren 2021-2022. Als Maurin Bisig den Auftrag erhält bei einer Haussanierung mitzuhelfen, erkennt er augenblicklich das fotografische Potenzial: Inspiriert von der Geschichte des Hauses sowie den etlichen Fundstücken, die er beim Aufräumen findet, beginnt er sowohl den Arbeitsprozess, die landschaftliche Umgebung sowie ausgewählte Objekte zu erfassen. Ein Projekt, das in der Buchpublikation «Im Eichen» (2023) mündete.
Die Holzskulptur von Flurin Bisig wiederum vermag formal wie materiell an die Fotografien anzulehnen. Anders als bei den Marmorskulpturen ist der Prozess der Bearbeitung auf dem Holz sichtbar und mag gar an Zeichenstriche erinnern. Bei genauerer Betrachtung lassen vereinzelte Durchsichten auf ein hohles Inneres schliessen, womit die Skulptur in einen fragilen Zustand überführt wird.
Als Inspiration dient Flurin Bisig unter anderem die Auseinandersetzung mit der Antike oder Frührenaissance. Insbesondere Darstellung von Torsen und Faltenwürfe in Kleidern interessieren ihn. Der Künstler beginnt Bilder aus historischen Büchern auszuschneiden und zu eigenen Collagen zu verarbeiten, wovon eine im Benzeholz zu sehen ist.

Dachgeschoss
Vor dem Fenster gruppiert mögen die Holzsockeln der Marmorskulpturen bestimmt an Transportboxen und Arbeitsblöcke erinnert. Bewusst bindet Flurin Bisig damit ein konstruktivistisches Denken mit ein. Entgegen der klassischen Präsentation von Objekten sind die Betrachter*innen gar dazu aufgefordert zum Marmor aufzuschauen. In ihrer Zusammenstellung mögen die Skulpturen auch an körperähnlichen Figuren denken lassen. Damit korrespondieren sie mit der Fotografie: Neugierig und aufgeweckt scheint darauf ein Steinmenschlein in die Weite zu blicken. Maurin Bisig, in einer Lektüre über den Bildhauer Auguste Rodin vertieft, sah darin sogleich die Figur des Honoré de Balzac – was der Fotografie schliesslich den Namen verlieh.

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Text: Katrin Sperry
Bilder: Ralph Kühne