Lorenz Olivier Schmid. Umnutzungsvorschlag

26.08.-09.10.2022

Lorenz Olivier Schmid (*1982 in Aarau) ist Künstler, Fotograf und Forscher. Mit viel Präzision übersetzt er Alltagsphänomene in überraschende und stimmungsvolle Bildmomente. Die Schau im Benzeholz ist Schmids bisher umfassendste Einzelausstellung, wobei er für das Haus einen Umnutzungsvorschlag kreiert.

Im ersten Raum finden wir analoge s/w-Fotografien. Sie zeigen eine Auslegung von Themenfeldern, die der Künstler mit Hilfe von Kontaktabzügen in seiner Praxis aufgreift. Schmid arbeitet vorwiegend mit Streiflicht – Licht, das durch die Glaskante auf das Sujet trifft. Dabei ist es die Schönheit im Zufälligen und Vergänglichen, das Festhalten von Prozessen und das Auffinden von Spuren, die er mit viel Sorgfalt und Präzision festhält und präsentiert.

Die Arbeiten mit dem Titel «Efflorescence» (Dt. Ausblühung) gehören zur Serie «Der erste und der letzte Schnee». Während der Winterzeit hat Schmid Schnee auf Strassen gesammelt, welchen er anschliessend auf einer Glasscheibe schmelzen und verdunsten liess. Was davon übrig geblieben ist wird bildwirksam: Spuren von Tausalz sowie im Schnee angesammelten Strassendreck.

Zu unserer Rechten ist eine Anthologie aus Blütenköpfen zu sehen. In der Serie mögen die Fotografien an ein Herbar erinnern – eine Sammlung aus konservierten, meist getrockneten oder gepressten Pflanzen, die in der Wissenschaft Verwendung finden. Im Unterschied zum klassischen Verfahren jedoch, zerquetscht Schmid die Blüten unter Glas und lässt den austretenden Pflanzensaft über eine Dauer von rund eineinhalb Wochen stehen. So zeugen die Fotografien auch von dem dadurch angeregten Verfaulungsprozess oder der Bildung von Pilzmycelen.

Zur Seeseite hin erkennen wir eine Versuchsreihe des Eisblumierungsverfahrens. Die klassische Technik ist vor allem in der Herstellung von Ornamentgläsern fest verankert. Die unebene und strukturierte Oberfläche wirkt, als ob Eiskristalle das Glas überziehen würden. Innerhalb des physikalischen Prozesses sind es jedoch Brüche, die das fraktale und poetisch anmutende Muster generieren, welche der Künstler wiederum mittels Kontaktabzüge festhält.

Im ersten Stockwerk lassen sich digitale Farbfotografien entdecken, deren ausgeprägte Zoom-ins zu einer verstärkten Abstraktion der Motive beitragen. Sie gewähren den Betrachter*innen ein vertieftes Eintauchen in detailreiche «Zerfallsauren». Beim Betrachten der vergrösserten «Madonnenlilie» beispielsweise sehen wir Ausschnitte von Geflecht und Pilzmycel, welche von blossem Auge nicht erkennbar wären. Über die Abbildung hinaus mögen sie zudem Assoziationen zur Mikro- wie Makroebene, zur Unterwasserwelt oder zum Kosmos wecken. Auch lässt sich ein immenses Farbspektrum ausmachen, das unter anderem in der mehrteiligen Arbeit «Vorgartenkosmologie» augenfällig ist. Diese zeigt eine Reihe zerquetschter Beeren – darunter eine Erdbeere, eine Heidelbeere oder die Frucht eines Sanddorns. In ihrer Gesamtheit zeigen auch sie die Schönheit im Zufälligen und Prozessualen, welche sich hier jedoch aus der Zerstörung eines Reifezustandes herausgeschält hat.

Ihnen gegenüber steht die Präsentation von drei unterschiedlichen Salzlösungen: Die monumentale Ansicht einer sterilen Infusionslösung ist neben Lösungen platziert, die Schmid aus einem Sprudelbad oder aus dem Mittelmeer entnommen hat. Sie alle weisen unterschiedliche Kristallisationsbilder auf. Aufgeblasen in ihrer Dimension sind auch erneut Fotografien von geschmolzenem Schnee zu sehen. Mit ihnen steht die Einladung in eine mikroskopische Landschaft einzutauchen, die gespickt ist mit vielen kleinen Kristallen. Und wer genau hinschaut wird erkennen, dass sich der «letzte Schnee» mit seinen bräunlichen Verfärbungen deutlich vom «ersten Schnee» unterscheidet.

Der Titel der Ausstellung «Umnutzungsvorschlag» wird auf der obersten Etage zum Programm: Während sich unsere Augen wohl noch an die Dunkelheit gewöhnen müssen, erahnen wir bereits die Umrisse eines Modells eben jenes Raumes. Mit einem gläsernen, eisblumierten Dach mag das oberste Stockwerk wie ein Gewächshaus erscheinen, das sich in Winterstarre befindet und zwischen dekorativem Gegenstand und apokalyptischer Vorahnung oszilliert. Die Konstruktion ermöglicht Einblick in eine weitere Vorstellungswelt, wobei in Anlehnung an die eigentliche Nutzung eines Treibhauses die Idee aufgeworfen wird, das Wachstum von Kunst im Benzeholz sinnbildlich zu fördern.

Lorenz Olivier Schmid (*1982 in Aarau, lebt und arbeitet in der alten Papiermühle in Küttigen AG) erarbeitet Ausstellungskonzepte sowie Projekte für Kunst und Bau. Von 2004-2008 studiert er Bildende Kunst an der Hochschule Luzern – Design & Kunst, 2010 schliesst er mit dem Master of Arts in Public Spheres ab und arbeitet anschliessend bis 2016 als Assistent an derselben Hochschule. Es folgen unterschiedliche Engagements, wie in der Produzenten-galerie Luzern, in der Kunstkommission der Stadt Aarau, im Ausstellungshaus Trudelhaus in Baden und in der Kulturförderkommission der Stadt Aarau.

Text: Katrin Sperry
Bilder: Ralph Kühne

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