Zeichnungen, Druckgrafik, Malerei, Skulpturen, Fotografien und Projektionen zeigen die Bandbreite von Camillo Paravicinis künstlerischem Schaffen. Erstmals werden in der Einzelaus-stellung bestehende Werkgruppen mit neu konzipierten Arbeiten kombiniert. Charakteristisch ist seine humorvolle und konzeptuelle Auseinandersetzung mit der Frage, was Kunst sein kann.
Die «Nine White Sculptures» - einfach und leicht aus Gips geformt – nehmen menschliche Gesten wie das Ausstrecken eines Armes, die Bewegung eines Kopfes oder aus Gefässen herauswachsende Rüssel oder Noppen auf. Gleichzeitig erinnern sie durch den weissen porösen Gips an Cy Twomblys Skulpturen oder durch ihren Körperbezug an die Passstücke von Franz West oder an den Beginn der Abstraktion Anfang 20. Jahrhunderts. Auf Bürogestellen in den Raum herein gefahren nehmen die Objekte es mit einer wichtigen Versammlung auf. Sie sind beweglich, können aber auch wie Akten nebenan platziert werden. Doch die unscheinbaren, weiss in weiss tonigen Geschöpfe lassen sich nicht unterkriegen, denn aus jeder einzelnen Skulptur erklingt eine Stimme, vortragend, schimpfend oder murmelnd. Kaum zu verstehen gehen die Geräusche in ein allgemeines Gemurmel über und das Wichtig-Getue jedes einzelnen versiegt in der Gruppe.
In der Kombination mit dem Blumenstilleben und den Linol-schnitten zeigt sich die unterschiedliche Haptik der Werke. Die magische Anziehungskraft des farbigen Glases täuscht über die verwelkten Blumen hinweg und doch zeigt sich gerade in dieser Gegenüberstellung die Paradoxie der Nature Morte, welche als Kunstform den Moment des Vergehens feiert. Die verwelkten Blumen scheinen im Glanz der Farbe geradezu wieder an Intensität zu gewinnen.
Neu für die Ausstellung entstanden sind fotografische Porträts von Vögeln, die fordernd, keck, herrschaftlich oder gar mürrisch drein blicken. Um ein Vielfaches vergrössert und präzis aufgenommen, wird ihre Beschaffenheit in hyperrealistischer Manier sichtbar. Diese kleinen Tiere, die meist nur unter ihrer Art als Meisen oder Spatzen benannt werden, erscheinen hier als Persönlichkeiten. Den grossformatigen Schwarzweissfotografien werden einfache Tuschezeichnungen auf eingefärbtem Papier von Menschen mit all ihren Genüssen und Lastern hinzu gesellt. Die Schwere der Porträts wird durch die Leichtigkeit der Zeichnungen aufgehoben. Mit der Verschiebung von Dimensionen spielt Camillo Paravicini auch bei der Skulptur im Aussenraum. An modernistische Architekturen oder Denkmäler angelehnt wird sie zum greifbaren Gegenüber. Die Spikes hingegen wirken eher abweisend.
Im Dachgeschoss wird die Bewegung und der Moment des Vergehens bzw. Festhaltens nochmals auf andere Weise thematisiert: im «Velounfall» als ein sich unerwartetes Ereignis und in der Drehbewegung von «Waltz». Das Karussell eines Diaprojektors dreht sich nach dem Münzeinwurf für kurze Zeit und projiziert Lichtbilder an die Wand, die ihrerseits Spuren von Licht einer Karussellfahrt wiedergeben.
Gekonnt verstrickt Camillo Paravicini alltägliche menschliche Begebenheiten mit kunsthistorischen Referenzen. In der genauen Beobachtung von Menschen und in deren Vermittlung über die Kunstwelt entstehen dichte Erzählungen, die stets auf Augenhöhe der Betrachterin und des Betrachters bleiben.
Text: Annamira Jochim
Bilder: Camillo Paravicini