Der Künstler René Gisler spielt mit Buchstaben, fügt sie Worten hinzu und öffnet deren Bedeutungsspielraum, er zerlegt Worte, setzt sie wieder zusammen oder kombiniert sie mit Bildern. Mit seinen Wortspielen reagiert er auf Beobachtungen und Sinnverschiebungen aus dem Alltag. Er untergräbt gesellschaftliche oder wirtschaftliche Systeme, deckt sie auf oder zeigt wie sie uns im Griff haben, zum Beispiel wenn die Suchgeschichte uns in den Treffervorschlägen auf Google verfolgt. René Gisler lässt es nicht dabei, sondern macht sich in «Search Selfies» das vorhandene System auf kunstvolle Weise zunutze und kreiert mittels Google-Suchmaschine lustvolle Alliterationen.
Seit über zehn Jahren sucht der Künstler nach Neologismen und hat sich so ein unglaubliches Sprachuniversum angelegt. Aus seinem Blog «Verbarium», wo er Wortschöpfungen im Internet unter dem Pseudonym «Phrasadeur» veröffentlicht, präsentiert er nun auf Karteikarten die aktuellsten Begriffe aus der Kategorie «Diskurswesen». Die Einteilung der Worte in Kategorien und die ihnen zugeordneten Artikel und Erläuterungen gleichen einem Lexikon. Die Auslegeordnung der Ausdrucke dient denn auch als Vorbereitung für das nächste Nachschlagewerk. Bereits 2001 sind die ersten Worterfindungen im «Enzyklop» in Buchform erschienen.
Für die Ausstellung «madams äpfel» entstand erstmals eine Serie von kleinen Tonfiguren. Mit wenigen Handgriffen formt der Künstler Anspielungen auf unser Dasein, die sich mit dem Wechsel der Perspektive ins Gegenteil kehren können. Zweifelsohne erinnern die humorvollen und hintergründigen Skulpturen aus ungebranntem Ton an die legendäre Arbeit «Plötzlich diese Übersicht» von Peter Fischli und David Weiss aus den 1980er Jahren. Doch gleichzeitig wird mit den in Ton geprägten Wortkombinationen, die Haltung des Künstlers deutlich. Es handelt sich weniger um Anekdoten als um Verschiebungen des Sinns innerhalb eines Wortes und seiner neu geschaffenen Begriffsumgebung. So spielt «Madams Apfel» auf die Vertreibung aus dem Paradies und die ständig lauernde Versuchung an, die als «Adams Apfel» im Hals stecken bleibt – oder im Benzeholz im Plural auf den Tisch kommt.
Für seine Buchstabentafeln verwendet René Gisler grafische Vorbilder aus Markenzeichen, welche diese mit Bedeutung und Symbolik aufladen. Das Post Scriptum im Dachstock mutet beinahe anachronistisch an: handgemalt, wie ein aufgeschlagenes Buch zueinander gruppiert, sind die Buchstaben den Logos sozialer Netzwerke entlehnt.
René Gislers Ausstellung lebt wie ihr Titel von einer haptischen, lyrischen und konzeptuellen Vielfalt. Während die lebendige Wortküche des Künstlers die Besucher zu manchem Wortspiel inspirieren mag, lädt die Lotto Speech, bei der die Kunstworte zur Aufführung kommen, zum Mitspielen ein.
Text: Annamira Jochim
Bilder: Ralph Kühne